Mersch – ein Idyll im Herzen des Landes

Eigentlich ist Mersch nur ein Reihendorf, wie so viele hierzulande. Eine lange, lange Straße zieht sich vom Bahnhofsviertel, dem alten Udingen, in weichen Biegungen fast unmerklich ansteigend bis an den Fuß der „Härdt“, der Wasserscheide zwischen Marner und Eisch. Nach Süden zu verliert sich der Blick in der satten Breite des Merschertales, während nach Norden die weiche Kuppe des Merscherbergs die Aussicht beschränkt.
Das Städtchen selbst scheidet sich in zwei deutlich abgetrennte Teile, das ältere Obermersch und das jüngere moderne Untermersch. Obermersch hat seinen Charakter des behäbigen, stillen Bauerntums zu bewahren gewusst. Wohl ist die Straße recht breit angelegt, aber die Haustypen sind vielfach von rein bäuerlicher Art, mit prachtvollen alten Haustüren, blumengefüllten Gärten und geräumigen Vorhöfen.
Untermersch sieht ganz anders aus. Das Bindeglied zwischen den beiden Ortsteilen bildet das eben als Baugelände erschlossene Terrain der Miés, wo in kurzem eine nette Wohnzone abseits vom Verkehr und seinem Lärm, erstehen wird.
Von der prachtvollen, wuchtigen Pfarrkirche ab in Richtung Bahnhof erstreckt sich das Geschäftsviertel der Kleinstadt Mersch. Hier reihen sich neuerrichtete oder geschmackvoll umgebaute Läden, Gaststätten und Verwaltungsgebäude aneinander. Geht es in Obermersch noch mehr oder weniger behaglich und ruhig zu, so herrscht hier besonders während der Touristensaison ein reges, buntes Treiben. Da Mersch am Schnittpunkt wichtiger Hauptstraßen liegt, ist besonders am Sternplatz, wo vier Straßen einmünden, der Verkehr manchmal beängstigend dicht. Lässt dieser aber am Abend nach, so sinkt mit der Nacht eine wohltuende Stille über unsern Ort, denn die Merscher selbst sind dem Lärm und der nächtlichen Störung herzlich abhold.
Eine besondere Erwähnung im Bild des Städtchens verdient der Michels-platz, einer der typischsten und geruhsamsten Marktplätze weit und breit. Hier stand bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts die altehrwürdige Pfarrkirche zum hl. Michael inmitten eines ausgedehnten Friedhofs. Nur der alte Turm ist von ihr erhalten geblieben. Altersgrau und
ein bisschen griesgrämig blickt er auf das unruhige Menschenvolk zu seinen Füßen herab. Seine wunderbar gearbeitete Kuppel zieht die Bewunderung der Fremden an. Weil sie die Mutter des Prinzen Heinrich, Anna Paulowna, an die zwiebelförmigen Kirchendächer ihrer russischen Heimat erinnerte, durfte er auf ihre Fürsprache hin ruhig weiterleben, als man ihm die baufällige Kirche wegnahm und auch den Kirchhof nach anderswo verlegte. Seine Steinbänder tragen mehrere Chronogramme, die alle die Jahreszahl 1707 ergeben, das Datum seiner Erbauung. Noch immer birgt der Boden des Platzes zu seinen Füßen manch ehrwürdig altes Grab, über den Gräbern aber spielen sorglose Kinder, tönen an warmen Sommerabenden lustige Musikweisen, plärren an übermütigen Kirmestagen die entfesselten Lautsprecher.
Die letzten fünfzig Jahre haben übrigens das Gesamtbild von Mersch stark verändert. An den Ausfallstraßen nach Westen, Süden und Osten machen sich moderne Wohnviertel breit. Da das Bauland im Innern der Ortschaft bis zur Erschließung der „Miés” total mangelte, wurde eben dort gebaut, wo noch Gelände frei war. Dadurch hat sich Mersch strahlenförmig nach außen entfaltet, sodass in kurzer Zeit der Gemeindehauptort mit seinen Sektionen ein homogenes Ganzes bilden wird. Denn die Bevölkerung wächst langsam zwar nur, aber sicher, durch den Zuzug von kleineren und größeren Industrien: Fonderie, Silo, Schlachthaus. Gottseidank ist darunter keine, die mit giftigem Rauch die saubere Luft verpesten könnte.
So liegt das Idyll Mersch noch immer im Kranz seiner Sandsteinfelsen, von deren Höhen mächtige Wälder herniederrauschen, noch immer winden sich Alzette, Eisch und Marner um seinen Fuß, noch immer beherrscht der Dreiklang Kirche, Schloss, Michelsturm die dem Ort eigene Silhouette. Noch immer lässt sich gut leben hier im Merschertal, wo der Mensch sparsam ist mit seinen Gefühlsäußerungen, aber arbeitsam und friedlich seiner täglichen Beschäftigung nachgeht.
Möge das noch recht lange so bleiben!

Gaston FRINGS
in der Broschüre « 47e Congrès National à Mersch les 9 et 10 septembre 1967 »

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